Dienstag, 20. Dezember 2022

Nächstes Mal auf Asche - Auf den Zahn gefühlt - Episode 12

Heute: Berry Winterberg

Foto mit freundlicher Genehmigung von ©Michael Kelleners

Wir haben uns vor ein paar Wochen mit Berry Winterberg getroffen. Berry ist neben seinem Fan-Dasein beim FC Kleve, Lost Groundhopping Experte und außerdem ein ziemlich guter Typ.


In der BIBABUZE Buchhandlung Düsseldorf findet noch bis zum 14.01.2022 seine Fotoausstellung zum Lost Groundhopping statt. „Ein etwas seltsames Hobby“ sagt  Berry. Wir finden es spannend und haben nachgefragt. Viel Spaß mit einem äußerst interessanten Interview:


NMAA: Hey Berry vielen Dank dass du dir Zeit genommen hast, hier in der Sonnenblume Velbert mit uns das Interview zu führen.


Berry: Sehr gerne!


NMAA: Lost Ground Hopping. Lost Places besuchen durchaus mehrere Leute, jetzt bist du noch dazu Kleve Fan. Gab es irgendwann eine Zeit wo du auch einem größeren Verein supportet hast oder hast du dich bewusst für einen kleinen Verein entschieden? Ist Kleve dein Heimatverein?


Berry: Also in erster Linie ist Kleve mein Heimatverein. Ich bin mein ganzes Leben lang Schalke Fan gewesen. Jetzt bin ich nur noch Sympathisant. Mein Interesse für den Profifußball hat immer mehr nachgelassen und ist inzwischen komplett erloschen. 

Im Zuge dieser unsäglichen, rassistischen Rede die der damalige Vorstandsvorsitzende Tönnies gehalten hat, den darauffolgenden Umgang seinerseits und des FC Schalke 04 damit, hab ich mich von Schalke als Fan verabschiedet und hab meine Mitgliedschaft gekündigt. Das wars dann, ich hab auch keine Spiele mehr geguckt, weder live noch im TV.

Dann habe ich mich wieder auf meinen alten Heimatverein, den 1.FC Kleve zurückbesonnen, dem ich eigentlich kurz nach seiner Gründung im Jahre 2000 gefolgt bin. 

“Mein Interesse für den Profifußball hat immer mehr nachgelassen und ist inzwischen komplett erloschen.“

Kleve ist damals sogar bis in die Regionalliga aufgestiegen. 

Dies hat allerdings dem Verein das Genick gebrochen und diesen auch in die Insolvenz getrieben.

So ging es zurück in die Landesliga.

Da hab ich mir gesagt:

Jetzt aus Köln wieder über die ganz kleinen Dörfer zu fahren, da fehlen mir die Nerven für.

Vor ein paar Jahren ging es allerdings wieder hoch in die Oberliga und somit waren die Auswärtsspiele für mich zumindest näher als die Heimspiele.

Seitdem fahre ich auch nach Möglichkeit wieder alles.


NMAA: Du kommst demnach aus Kleve?


Berry: Ja ich bin gebürtiger Klever.


NMAA: Hast du selber denn auch Fussball gespielt?


Berry: Nicht wirklich. Ich hab hobbymäßig in meiner Kindheit und Jugend fast meine komplette Freizeit auf dem Bolzplatz verbracht, aber im Verein hab ich nie gespielt.


NMAA: Du hast in unserem Vorgespräch erwähnt, dass du im Heimathirsch in Köln aufgelegt hast. Wir waren selbst vor ein paar Wochen da, weil JNSN. dort ein Konzert gespielt hat. Der Laden wirkte schon ein bisschen alternativ würde ich sagen oder hat zumindest einen alternativen Charme.


Berry: Eher nicht. Das Publikum ist mehr ein Mainstream-Publikum, das ist aber traditionell so. Es hat allerdings Veranstaltungen oder Auflegereihen gegeben, die ein bisschen anderes Publikum anziehen wollten und sollten. Das hat nach einer Zeit auch gut funktioniert und auf genau so einer Veranstaltung seid ihr gewesen.

Inzwischen kommen den Laden wirklich auch ein paar andere Gäste besuchen, als nur dieses ursprüngliche Veedels-Stammpublikum was sonst immer da war.


NMAA: Was hast du aufgelegt?


Berry: Das fing an mit Soul und Funk, das war ich aber irgendwann über.

“und dann kam Corona….damit war es dann für mich als Risikogruppe damit vorbei.“

Ich hatte mich daran satt gehört und hab mich auf meine musikalischen Wurzeln zurückbesonnen und das waren bzw. sind New Wave, Indie, Postpunk und teilweise Gothiczeug. Das haben wir versucht im Heimathirsch zu etablieren - inklusive Konzerten – was immer besser wurde bzw. besser gelaufen ist…und dann kam Corona….damit war es dann für mich als Risikogruppe damit vorbei.


NMAA: Und machst du da in der Hinsicht inzwischen wieder was?


Berry: Nein überhaupt nicht. Da eine Infektion mit dem Virus, für mich nicht ungefährlich ist, habe ich mich eigentlich bis heute aus allem was drinnen stattfindet, rausgehalten. Leider leider. Auflegetechnisch mache ich im Moment auch nichts mehr, was mir schon weh tut, denn ich habe das sehr gerne gemacht. Ich hatte dann trotz Prävention vor kurzem doch Corona und möchte das auch nicht wieder haben.


NMAA: Nachvollziehbar. Wir machen nochmal einen Sprung zum Anfang:

Du bist dem FC Schalke hinterher gereist…


Berry: Ich war bei weitem kein Allesfahrer, aber ich habe schon viele Auswärtsfahrten mitgemacht.


NMAA: Auch international?


Berry: International nicht, aber ich hab bei der UEFA Cup Saison 96/97 und auch der Saison danach, zumindest alle internationalen Heimspiele gesehen.


NMAA: Seit wann würdest du sagen, gehst du überhaupt zum Fussball?


Berry: Also mein erstes Spiel das ich besucht habe, wo mein Vater mich mitgeschleppt hat – ganz klassisch wie es bei vielen so ist – war in der Saison `76-`77. Und das ich dann alleine gefahren bin, das dürfte dann Anfang der 80er gewesen sein.


NMAA: Also noch die wilden Zeiten?


Berry: Ja genau. Die ganz wilden Zeiten.


NMAA: Die 80er, damals im Parkstadion. Die Gelsenszene ist vielen bis heute ein Begriff. Wie sehr wurdest du damit konfrontiert?


Berry: Gar nicht eigentlich. Also man kannte natürlich ein paar Gesichter, aber das ich mit der Gelsenszene groß was zu tun hatte, kann ich nicht behaupten. Man hat sich halt gesehen.


NMAA: Also warst du wirklich reiner Fan, und so im subkulturellen Sinne bzw.  Hooligan- oder Ultramäßig gar nicht dabei?


Berry: Ultras gab’s damals zu der Zeit noch gar nicht. Das war also alles noch sehr Hool-lastig, das waren hunderte. Das ließ sich gar nicht vermeiden, das man dort mal mit reingeraten ist oder was mitbekommen hat. Aber das ich da aktiv mitgemischt hätte, kann ich nicht sagen.

Ich stand ab ca.14-15 immer in Block 5 in der Nordkurve, später dann im Block I, weil der Block K Dauerkartenmäßig belegt war. Wenn ich im Parkstadion in den Block K kam, dann mit Kumpels, die mich auf ihrer Dauerkarten mit reingeschmuggelt haben. Das ging damals noch. 

“Die Sache mit Tönnies war wirklich der Sargnagel.“

Heute sympathisiere ich noch was Schalke betrifft, das hab ich ja Eingangs gesagt, aber sonst hab ich mit dem Profifußball nix mehr am Hut. Ich kann mich da einfach nicht mehr mit identifizieren. Die Sache mit Tönnies war der Sargnagel. Natürlich mit einer Träne im Auge, weil ich mir damals dachte „Dieses Arschloch macht mir meinen Verein madig“. 


NMAA: Aber du bist ja auch nicht der Einzige der so reagiert. 

Würdest du sagen, dass der Amateurfußball dadurch an Zulauf gewinnt oder findest du das das eher stagniert oder sogar weniger wird?


Berry: Ich finde das er zumindest nicht markant an Zulauf gewinnt.

Ich hatte mir gedacht das es mehr werden würde – auch durch oder nach Corona – nun stelle ich aber in dem Maße in dem ich mir das erhofft habe, leider nicht den großen Zulauf fest ehrlich gesagt.


NMAA: Kommen wir nochmal kurz zu der Zeit im Stadion zurück. Wie hast du die Entwicklung erlebt, das auf einmal in Deutschland eine Ultraszene aufkam? Bei uns war es damals so, dass wir plötzlich für einige einfach da waren im Stadion, nicht wenigen Leuten sind wir ordentlich auf den Keks gegangen. Da konnten eine Menge Fans gar nichts mit anfangen, mit den riesen Schwenkfahnen und man musste plötzlich ein Transparent hochhalten, während der deutsche Fußball Fan das eigentlich alles gar nicht kannte. Wie hast du das wahrgenommen? War das für dich eher ein „Da tut sich wieder ein bisschen was im Fußball“? Auch da entstand ja in den 90ern ein ziemliches Machtvakuum in den Stadien, als die Hooligan- und Kuttenphase auslief und dann nach 2-3 Jahren, primär Jugendliche zusammengefunden haben, nur dann nicht mehr zu Hooligan- sondern zu Ultragruppen. 


Berry: Da kann ich mich ehrlich gesagt, gar nicht so richtig dran erinnern, wie sich die Ultrabewegung auf Schalke entwickelt hat. 

“Aber ich muss zugeben, dass die Ultras mir im Laufe der Zeit auch immer mehr auf die Nerven gegangen sind.“

Ich weiß wie sie sich gegründet haben. Aber wie ich das damals wahrgenommen hab, das weiß ich nicht mehr. Ich hab auch zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Nordkurve gestanden, ich war dann eher Süd oder eben Block K. Ich fand es anfangs positiv, durch den frischen Wind den die Ultras reingebracht haben. Aber ich muss zugeben, dass die Ultras mir im Laufe der Zeit auch immer mehr auf die Nerven gegangen sind. 


NMAA: Was genau?


Berry: Schwierig zu sagen. Ich glaube primär die Sache, das man sich selber zu wichtig genommen hat und eigentlich die Selbstdarstellung wichtiger war, als der Support der Mannschaft. 

“ich glaube primär die Sache, das man sich selber zu wichtig genommen hat“

Das geht bis heute so, das es mehr ein Messen mit den gegnerischen Fans, als eine Unterstützung der eigenen Mannschaft ist, so mein Eindruck. 

Man nimmt wenig Rücksicht auf andere Fans…ich mein…dieser Dauersingsang geht ja auch vielen Leuten auf den Keks, weil es oft einfach monoton und wenig spielbezogen ist. Dann das andauernde Fahnenschwenken, das den Leuten die Sicht aufs Spielfeld nimmt. 


NMAA: Seit wann fährst du jetzt schon zum FC Kleve?


Berry: Den Verein gibt es ja erst seit 2000 und seit 2001 fahr ich dahin. 


NMAA: Ich meine mich erinnern zu können, dass es in Kleve die Ultras Kleve oder irgendwas ultraähnliches gab….


Berry: Ja das gab’s bei uns auch. Ich persönlich gehöre z.B. zu den Gründungsmitgliedern der Kleefse Jonges, ein ganz normaler, herkömmlicher Fanclub. 

“Das war das Commando Schwanenstadt. Die haben das klassische Ultrading durchgezogen.“

Aber aus Teilen der Kleefse Jonges haben sich damals die Ultras gebildet, die dann auch ihr eigenes Ding machen wollten. Das war das Commando Schwanenstadt. Die haben das klassische Ultrading durchgezogen.


NMAA: Gibt es heute noch sowas in der Richtung?


Berry: Nein da gibt es gar nichts mehr,  die Szene ist mit der Insolvenz damals gestorben und hat sich auch bis heute nicht neu gebildet, es gibt auch keinen Nachwuchs.


NMAA: Bist du denn glücklich darüber, oder findest du das schade?


Berry: In Kleve hat mich das eigentlich nicht so gestört, wie bei den großen Ultragruppen. Denn wenn man da nichts sehen konnte, ist man halt 2m nach rechts oder links gegangen und damit war das Problem gelöst. Man kannte sich untereinander. 

Da würde mich schon freuen, wenn sich eine solche Gruppe wieder bilden würde.


NMAA: Großer Derbygegner ist Goch? 


Berry: War es früher, aber da wir ja in Ligaspielen die letzten Jahre nicht mehr aufeinander getroffen sind, ist es jetzt eher Bocholt oder „Gocholt“ wie wir scherzhaft sagen. Oder auch Straelen. 


NMAA: Bocholt hat auch eine kleine Fanszene.


Berry: Ja haben sie mittlerweile, seit einem halben Jahr oder so.

Vorher lag das auch lange brach. 


NMAA: Ich kenn das nur durch Fortuna, als wir da gespielt haben. Das war ein Highlight – also für Bocholt. Für Düsseldorf war es mehr eine „über die Dörfer“-Tour. 


Berry: Ja, so wie Kleve ja auch für euch.

©Michael Kelleners

NMMA: Ja. Das waren ja damals Zeiten, als wir in der Oberliga gespielt haben. Da war das einzige Highlight noch Wuppertal und auch da hast du dann gegen die Zweitvertretung gespielt. Und uns blieben die Pokalspiele, wie jetzt hier in Velbert in der Sonnenblume wo wir gerade stehen, wo dann tatsächlich jeder Rang voll war. Die ganze Seite war voll, auf den Hängen standen die Leute. Da hat es auch schlimm gescheppert irgendwann. 


Berry: Ja ich weiß das auch noch, da gab es einige Verletzte. Das Kassenhäuschen wurde ja noch überrannt…


NMAA: Ja es kam zu einem riesen Gedränge an dem Kassenhäuschen, das war wirklich gefährlich. 

Aber springen wir ein wenig weiter. Zusätzlich zu deinen Fahrten zum 1.FC Kleve, hast du das LostGroundHopping für dich entdeckt. Das ist nicht mehr ganz unbekannt, das machen mehrere Leute, dieses Lost Place Ding. Was treibt dich dazu an?


Berry: Die Idee dazu ist im ersten Coronalockdown bei mir geboren. Irgendwer hatte Fotos gepostet von einem verlassenen Stadion, die ich total geil fand und da ich selber gerne fotografiere – zwar nicht viel Ahnung von Fotografie habe, aber ich fotografiere halt gerne – der Platz der da gepostet wurde, war auch gar nicht weit weg. 

“ich fand es einfach geil und hatte durch den Lockdown am Wochenende viel Zeit“

Also hab ich mir meine Kamera geschnappt und bin dahin gefahren und hab den Platz fotografiert. Da hab ich dann Blut geleckt, ich fand es einfach geil und hatte durch den Lockdown am Wochenende viel Zeit – man durfte ja auch sonst nicht viel machen, selbst die Freunde und die Familie nicht sehen – das konnte ich auch alleine machen und war gleichzeitig an der frischen Luft unterwegs. So hat sich das irgendwann verselbstständigt.


NMMA: Und jetzt hast du sogar eine Ausstellung zu dem Thema. Da darfst du uns gern ein bisschen was zu erzählen.


Berry: Das ist ziemlich krass welche Resonanz das ganze im Laufe der Zeit hervorgerufen hat. Es hat Zeitungsinterviewanfragen gegeben von der Welt, Rheinischen Post etc., was dem ganzen dann auch nochmal einen ziemlichen Schub gegeben hat. Dann gab’s Fernsehinterviews und durch irgendeine von diesen Geschichten, ist die Bibabuze-Buchhandlung in Düsseldorf auf mich aufmerksam geworden. Die BIBABUZE weiß selber nicht mehr genau wie sie darauf gekommen sind. Jedenfalls hat man über den 1.FC Kleve Kontakt zu mir aufgenommen, weil die BIBABUZE sich noch daran erinnern konnten, dass der Fotograf aus dem Bericht Kleve Fan war.

“Die BIBABUZE weiß selber nicht mehr genau wie sie darauf gekommen sind.“

Ich wurde dann gefragt, ob ich Interesse daran hätte, bei Ihnen Bilder auszustellen, weil die Buchhandlung ja die Boykott Qatar Initiative aktiv unterstützt und die Meinung vertrat, die Fotografien würden thematisch gut reinpassen, als Kontrast zum Hochglanz in Katar. 


NMAA: Wir waren natürlich auch schon in deiner Ausstellung und haben gesehen, dass du ganz viele Bilder aus einem Stadion in Belgien ausgestellt hast. Ist das dein Lieblingsspot, hat es einen besonderen Grund oder ist das nur Zufall, dass da so viele Bilder aus dem Ground existieren?


Berry: Das ist einerseits Zufall, andererseits eigene Blödheit. Denn ungefähr die Hälfte meiner mittlerweile rund 200 Plätze, die ich bisher besuchte, habe ich mit der geringsten Kameraauflösung fotografiert, die die Kamera hergibt und da reicht die Auflösung nicht aus um die Bilder zu vergrößern und auszustellen. 

“denn in Belgien sehen auch die bespielten Amateurplätze häufig so aus als seien sie lost.“

Von daher standen mir nur gut 100 Plätze zur Auswahl und ich hatte zufällig in Belgien ein paar Plätze besucht, die generell ziemlich geil sind, denn in Belgien sehen auch die bespielten Amateurplätze häufig so aus als seien sie lost. Dadurch ergab sich, dass einige Plätze aus Belgien in der Ausstellung hängen. 


NMAA: Was ist dein absoluter Favorit der 200 Lost Grounds die du mittlerweile besucht hast? Wo würdest du sagen „Da müsst ihr mal hinfahren“?


Berry: Ein Favorit ist das Stadion wo wir gerade stehen, die Sonnenblume Velbert, ansonsten war das Geilste was ich gesehen hab das Jahnstadion in Marl.

©Michael Kelleners

NMAA: Was genau macht das Jahnstadion so besonders?


Berry: Es ist einfach durch seine Größe schon ziemlich imposant, die riesigen Stehplatztribünen sind inzwischen auch schon fast komplett zugewachsen, da steht schon ein kleiner Wald auf den Tribünen und leider gehört das Stadion auch zu den Plätzen, die ich noch mit der niedrigen Auflösung fotografiert habe, wodurch es auch nicht bei der Ausstellung dabei ist.


NMAA: Hast du noch Mitstreiter:innen die dich begleiten, oder machst du das ganz alleine?


Berry: Ich mach das größtenteils alleine, ab und an begleiten mich mal zwei Kumpels, die auch an Lost Place Fotografie interessiert sind. Dann verbinden wir das meistens, fahren einen Lost Ground an und suchen uns dann noch einen Lost Place in der Gegend, wo wir noch hinfahren, der hat dann nichts mit Fußball zu tun hat. Verfallene Industriehallen oder etwas Ähnliches.


NMMA: Wie kommt der Mensch zu so – eher morbiden – Hobbys? Was ist für dich die Faszination daran? Ich war natürlich auch schonmal an dem ein oder anderen Lost Place/Ground, bin in Leipzig in eine verlassene Kirche geklettert und hab da Fotos gemacht, weil ich das faszinierend fand und auch der Ground an dem wir hier gerade stehen ist unheimlich spannend. Für mich ist das aber so, das Stadion hat was zu erzählen und es ist was cooles jetzt hier auf den Stufen zu stehen, wo nichts mehr gemacht wird, aber hier haben Geschichten stattgefunden. Wie das Niederrhein Pokalfinale vom Fortuna Düsseldorf oder oder oder…..


Berry: Ja klar, am schönsten ist es natürlich wenn man irgendwie selber noch eine Verbindung mit dem Stadion hat, so wie du mit Fortuna. Mit Kleve haben wir hier ja auch ein paar Mal gespielt, da hat man dann noch eine persönliche Verbindung. Ansonsten ist es aber halt auch wirklich so, dass man oft die Geschichte richtig atmen kann die da stattgefunden hat. Besonders wenn noch was von der Infrastruktur steht – Vereinsheime oder irgendwas – wo man noch Reliquien aus der Zeit findet. 

“Ansonsten ist es aber halt auch wirklich so, dass man oft die Geschichte richtig atmen kann die da stattgefunden hat.“

Ich bin in Vereinsheimen gewesen, da war die komplette Pokalsammlung noch da. Das „atmet“ alles noch. 

Ich mach mir - bevor ich alles auf Facebook veröffentliche - die Arbeit zu der Geschichte des Stadions oder der Vereine die es möglicherweise gar nicht mehr gibt, zu recherchieren. Die Geschichte gibt dem Ganzen noch besonderen Charme und man nimmt alles anders wahr, wenn man dann auf dem Platz steht. 


NMMA: Wie heißt deine Seite?


Berry: Nachspielzeit. Auch auf Facebook zu finden.


NMAA: Wie kann man sich das dann vorstellen? Du fotografierst einen Lost Ground und dann gibt es ein richtiges Portrait über das Stadion mit Geschichte und allem drum und dran. Wer da gespielt hat und noch kleine Anekdötchchen? 


Berry: Wie gesagt, ich versuche bevor ich die Bilder veröffentliche, was zu recherchieren, was teilweise recht schwierig ist. Die meisten Plätze die ich besuche, da handelt es sich um kleine Kreisligavereine, die möglicherweise schon 20 Jahre nicht mehr existieren. Darüber findet man manchmal einfach nichts. Wenn die Vereine noch existieren, schreib ich sie an. 

“Die meisten Plätze die ich besuche, da handelt es sich um kleine Kreisligavereine, die möglicherweise schon 20 Jahre nicht mehr existieren.“

Aber auch hier ist die Resonanz recht sparsam. Was ich ehrlich gesagt nicht so ganz verstehe, dass da von den Vereinen so wenig kommt. Ansonsten suche ich mir Presseberichte usw. zusammen und veröffentliche es dann. Daraufhin melden sich dann tatsächlich Leute, die mit dem Platz oder dem Verein noch irgendwas verbinden können, selbst da gespielt haben oder irgendeine Funktion inne hatten. Das ist eigentlich für mich dann das Schöne. Oder ich selber habe wirklich nichts herausgefunden, schreib es so zu den Fotos dazu und daraufhin melden sich Leute, die doch noch was zu erzählen haben. Das finde ich einfach spannend.


NMMA: Da steckt ja deinerseits dann schon richtig Arbeit hinter. Ist das noch „nur“ Hobby?


Berry: Klar, das ist schon zu einem ausgewachsenen Hobby geworden inzwischen.


NMAA: Du hast eben schon angesprochen, dass man sich als Kontrast zu Katar, eher wieder auf Sachen wie das Lost Groundhopping oder auf den Amateurfußball besinnen kann.

Wie stehst du überhaupt zu dem Thema Katar? Meine Meinung ist klar, ich finde das alles furchtbar, muss aber dazu sagen, dass Boycott Qatar zwar richtig ist, man aber eigentlich auch schon die WM 2018 in Russland hätte boykottieren müssen.


Berry: Ja, oder auch die in Südafrika. Oder in Brasilien. Die ja genauso unter unwürdigen Bedingungen stattgefunden haben. Wo Nachhaltigkeit überhaupt kein Thema war. Die Stadien in Südafrika und Brasilien gammeln vor sich hin. Über die Menschenrechtssituation in Russland brauchen wir auch nicht sprechen. 

“Die Nationalmannschaft interessiert mich auch einfach überhaupt nicht, von daher wäre die WM für mich ohnehin kein Thema.“

Das ist ja schon eine ganze Weile Thema, die WM Vergaben. Mit Katar ist es so, Nationalmannschaft gucke ich schon viel länger nicht mehr, als das ich Schalke nicht mehr gucke. Die Nationalmannschaft interessiert mich auch einfach überhaupt nicht, von daher wäre die WM für mich ohnehin kein Thema. Aber es ist einfach unsäglich die WM dorthin zu vergeben, wie sich die Verbände damit arrangiert haben, das es nicht direkt nach der WM Vergabe einen großen Aufschrei oder Proteste gegeben hat, dass man das ganze irgendwie hätte verhindern können oder überhaupt verhindern wollen. Das das alles nicht stattgefunden hat, das ist schon traurig und bitter genug. 


NMAA: Man könnte meinen, nachdem soviel vorgefallen ist und handfeste Korruptionsskandale bei der FIFA nachgewiesen wurden. Da müsste man eigentlich annehmen – ich geh jetzt mal von unserem heutigen Turbokapitalismus aus, da muss man den Laden ja trotzdem irgendwie am laufen halten - dass man sich mal von dieser ganzen korrupten Nummer löst. Stattdessen installiert man Infantino als nächsten FIFA Präsidenten. Sowas verwirrt mich zunehmend muss ich sagen. Wie kommt sowas? Du gehst lang genug zum Fußball und hast einen weiten Horizont. Wie erklärst du dir sowas? Ich persönlich komme da nicht mehr hinter um ehrlich zu sein.


Berry: Ich muss sagen, das geht mir genauso, denn der Mann ist gewählt worden. Ich glaube jeder Fußballverband der der FIFA angehört, hat eine gleichberechtigte Stimme und unter all den Stimmberechtigten ist er gewählt worden und wie da die Stimmen zusammengekommen sind, das müsste man mal ermitteln. 

“Und wenn Infantino irgendwann abgesägt wird, kommt der Nächste.“

Welche Gelder da möglicherweise wohin geflossen sind. Und wenn Infantino irgendwann abgesägt wird, kommt der Nächste. Es ist doch genau wie beim olympischen Komitee – IOC, das ist das gleiche Spiel. Da gibt sich auch ein korrupter Präsidenten nach dem andern, die Klinke in die Hand.


NMAA: Stimmt, Olympiaden werden in China ausgetragen, wo die Menschenrechtssituation ähnlich katastrophal ist.


Berry: Das ist genau das Gleiche, da sitzt der deutsche Thomas Bach als IOC Präsident, wo man dachte: vielleicht wird’s jetzt besser… Wurde es aber nicht. Von daher wird sowas auch mit dem nächsten FIFA Präsidenten ähnlich sein. 


NMAA: Der hat dann auch seinen Preis meinst du?


Berry: Ja mit Sicherheit.


NMAA: Du gehst zu Kleve, wir gehen zu TUSA und es gibt eine Menge anderer Menschen die wieder mehr zu den kleinen Vereinen gehen. Was würdest du als Motivation den Menschen mitgeben, sich eher wieder dem Amateurfußball zu widmen und nicht dem ganzen kommerziellen Clubs? Es wird immer mehr Plastik und immer weniger Volkssport.


Berry: Ich will da eigentlich überhaupt niemanden bekehren. Das muss jede:r für sich selbst entscheiden in wieweit man das ganze Spiel überhaupt noch mitmachen möchte, was da um den Fußball getrieben wird.

“Ich will da eigentlich überhaupt niemanden bekehren.“

Das muss jede:r seine eigenen Schlüsse draus ziehen. Aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis haben sich schon eine ganze Menge dem Profifußball abgewandt oder das Interesse verloren. Letzten Endes muss jede:r selber wissen was man macht. Ich kann es nur begrüßen und empfehlen mal auf die Amateurplätze zu gehen, dort ist alles viel näher. 

“Das bedeutet mir viel mehr als beim Profifußball nur mein Geld zu lassen und ansonsten eigentlich keinen Bezug zum Verein zu haben.“

Man ist dran, man kennt jeden – vom Platzwart, über Trainer, Spieler, Präsidenten – man bekommt mit was im Verein passiert, kennt Hintergründe usw. Das bedeutet mir viel mehr als beim Profifußball nur mein Geld zu lassen und ansonsten eigentlich keinen Bezug zum Verein zu haben.


NMAA: Fühlt sich das echt an?


Berry: Ja genau, das ist echt. Also in der Oberliga, das ist klar, da fließt auch Geld. Trotzdem ist das alles viel geerdeter, die Spieler sind nicht so abgehoben, man kann sich mit denen treffen, nach dem Spiel ein Bier zusammen trinken. 

“Also in der Oberliga, das ist klar, da fließt auch Geld.“

Das bedeutet mir viel mehr als irgendwie Millionären zu zujubeln und hinterher zu hecheln. 


NMAA: Unser Blog hat als Untertitel ja „Punk und Pöhlerei“. Du hast eben bereits erwähnt, dass du Dark Wave aufgelegt hast.


Berry: Ja Punk ist glaub ich eure Richtung oder? Ich hab und höre auch immer noch, viel 77er Punk. Wie Punk entstanden ist.

Sex Pistols, The Damned, Undertones, Buzzcocks und sowas. 


NMMA: Was läuft grad aktuell auf deinem Plattenteller? 


Berry: Da ist dieses back to the roots Ding. Viel New Wave, Sisters of Mercy, Simple Minds, The Cure, Joy Division, New Order solches Zeug. 


NMAA: The Cure spielen nächste Woche im Wembley Stadion und haben glaub ich 3 ausverkaufte Konzerte hintereinander.


Berry: Ich war vor ein paar Jahren mal da als sie in der Arena gespielt haben. Der Sound war aber einfach total kacke da wo ich saß. Das soll diesmal aber anders gewesen sein, das muss richtig geil gewesen sein. Ansonsten bin ich froh – ich hab the Cure in den 80ern ein paar mal gesehen – und die Erinnerung bewahre ich mir gerne.


NMAA: Leider müssen wir so langsam mal zum Ende kommen. Dein aktueller Musiktip fehlt noch und danach kannst du der Welt mitteilen, was du der Welt mitteilen möchtest!


Berry: Ich nenn einfach mal 2-3 Bands die mich seit den 80ern bis heute begleitet haben und wo in all den Jahren meine Begeisterung nicht nachgelassen hat. Das wären einmal The Chameleons aus der Ecke Manchester - sehr sehr geile Gitarrenband, sind auch heute noch als ChameleonsVox unterwegs. Dann Echo & the Bunnymen aus Liverpool und dann schmeiß ich noch New Order in den Ring.

Ansonsten möchte ich den Leuten vielleicht nochmal meine Ausstellung ans Herz legen, weil das für mich eine Premiere ist. Ich hab noch nie ausgestellt – das war auch nie mein Ansinnen als ich mit dem fotografieren angefangen habe – aber jetzt hab ich die Gelegenheit und wer sich dafür interessiert wie verlassene Fußballplätze aussehen und ein Faible hierfür besitzt, diejenigen können ja vielleicht mal in die Ausstellung in der Bibabuze vorbeischauen. Ich würde mich freuen wenn es den ein oder anderen noch dahin ziehen würde und die Bibabuze Buchhandlung freuts auch!


©Michael Kelleners


Für die Fotos zu diesem Interview, haben wir uns diesmal unseren guten Freund Michi an die Seite geholt. An dieser Stelle nochmal unser Dank für die Unterstützung und die schönen Bilder für unsere Leser:innen!


1 Kommentar:

  1. vielen dank euch beiden für das interview! hat echt spass gemacht. und btw......euer blog ist sehr lesenswert. weiter so!

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