Donnerstag, 8. Dezember 2022

Nächstes Mal auf Asche - Auf den Zahn gefühlt - Episode 11

Heute: Rainer Bartel


Mit einem stolzen Alter von 70 Jahren, kommt Rainer um so einige Erlebnisse in und um Düsseldorf, nicht herum. Immer der Fortuna treu und immer mit kritischen Blicken auf den Vereinsfußball, plaudert er mit uns ein wenig über die vergangenen Dekaden seines Lebens. Da können wir jetzt schon spoilern: Das war spannend! Schaut es euch an:


NMAA:

Hallo Rainer! Danke, dass du dir etwas Zeit für uns nimmst.  Wir geben gerne zu, dass „nächstes Mal auf Asche“ unter anderem durch „The Düsseldorfer“ Inspirationen gefunden hat. Das ist aber nicht deine einzige Leidenschaft. Fußball, kritischer Journalismus, vielleicht auch Musik? Erzähl ein bisschen von dir.


Rainer:

Na ja, wenn ich so was gefragt werde, sage ich meistens: In erster Linie bin ich Düsseldorfer. Bin hier vor 70 Jahren geboren und habe bis auf ein Jahr, immer in der schönsten Stadt am Rhein gelebt. Und dieses eine Jahr, das war in einer WG in Straberg, also bei Dormagen. Ich denke, mehr Heimat geht kaum. Ich kenn diese kleine Großstadt in- und auswendig. Und weil Düsseldorf meine Heimat im engsten Sinn des Wortes ist, muss ich natürlich Anhänger der glorreichen Fortuna sein. Obwohl ich selbst nie gekickt habe. In der Jugend war ich Handballtorwart, später habe ich jahrelang Badminton gespielt. Ach ja, bis zu meiner Kniezerstörung (beim Badminton, natürlich) bin ich furchtbar gern Schlittschuh gelaufen. So viel zum Sport. Seit zwanzig Jahren bin ich zusammen mit meiner allerbesten Hälfte, Halter von einem beziehungsweise zwei Windhunden. Die zwingen mich, täglich mehrfach vor die Tür zu gehen. So bleibe ich in Bewegung und krieg immer mit, was sich in der Stadt ändert.

“Ich kenn diese kleine Großstadt in- und auswendig.“

Ja, Musik ist auch ein wichtiges Thema für mich. Geprägt hat mich der Musikgeschmack meines Vaters, der leider schon 1967 gestorben ist. Der war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und wurde dort glühender USA-Fan. Und so liebte er Musicals und Jazz. Noch mehr haben mich natürlich die musikalisch so revolutionären 60er geprägt. Meine erste große Musikliebe war der Soul, den habe ich schon geliebt, als der zum Beispiel noch nicht im Radio lief. Und in den folgenden 50 Jahren habe ich unterwegs immer diese oder jene neue Mucke aufgepickt. Bin da weit offen...


NMAA:

„Diese kleine Großstadt“. Man hört immer wieder „Das Dorf in Düsseldorf ist durchaus berechtigt“. Woher kommt das deiner Meinung nach? Nur ein Gefühl?


Rainer:

Ne, stimmt einfach: Düsseldorf ist ja von der Einwohnerzahl her mittlerweile siebtgrößte Stadt in Deutschland, aber flächenmäßig nur auf Platz 17. Und das merkst du auch, wenn du dich durch die Stadt bewegst. Wo kommt man so schnell von einer Ecke in die andere? Zum Beispiel vom Aaper Wald nach Heerdt? Siehste...

“Da gehst du aber in bestimmte Viertel, und dann fühlt es sich doch sehr an wie in einem Kaff...“

Von der Atmosphäre her hat Düsseldorf insgesamt nichts Dörfliches mehr. Da gehst du aber in bestimmte Viertel, und dann fühlt es sich doch sehr an wie in einem Kaff...


NMAA:

Um diverse Szeneviertel hat die Gentrifizierung keinen Bogen gemacht. Ich selber hab lange Zeit in Derendorf gelebt. Da stand noch die Ulmer Höh‘. Mittlerweile befindet sich dort „Unternehmerstadt“. Ein Yuppieladen nach dem anderen wird eröffnet und dementsprechend steigen die Mieten. Wie stehst du dazu? Kaff oder internationale Großstadt?


Rainer:

Beides. Es herrscht ja weltweit Turbokapitalismus im Endstadium, das wirkt sich in allen westlichen Großstädten auf die Wohnsituation der Menschen aus. Und weil Düsseldorf nun schon seit gut 130 Jahren ein weltweit bekannter Industriestandort und Handelsplatz war und ist, zieht die Stadt eben renditegeile Investoren an. 

“Selbst als Christian Lindner eine Eigentumswohnung direkt am Platz besaß und bewohnte, blieb alles Wesentliche so, wie es sein soll.“

Das hat die Lokalpolitik spätestens seit Anfang der 70er-Jahre ohne Rücksicht auf die Bevölkerung befördert. Ich wohne in der Nähe vom Fürstenplatz, da bin ich auch geboren und aufgewachsen. Bin sehr glücklich, dass sich unser Viertel immer wieder erfolgreich gegen die Durch-Gentrifizierung wehrt. Selbst als Christian Lindner eine Eigentumswohnung direkt am Platz besaß und bewohnte, blieb alles Wesentliche so, wie es sein soll.


NMAA:

Du sagst es selber…Wir leben den Turbokapitalismus im Endstadium. Der macht natürlich nicht vor den Toren Düsseldorf‘s Halt. Obwohl wir uns mitten in der schwersten Krise der letzten 50 Jahre befinden nimmt die Gier kein Ende. Wieviel Warnschüsse braucht es denn noch?


Rainer:

Ui, schweres Thema. Gestern haben wir noch unter Freunden - alles auch etwas ältere Menschen - darüber diskutiert, ob es überhaupt noch Grund für Optimismus, was das Überleben der Menschheit angeht, gibt. 

“Meine Generation hat's verkackt, so viel ist sicher - da nehme ich mich persönlich nicht aus.“

Wir kamen zu keinem Ergebnis, waren uns aber einig, dass a) der Kapitalismus in seiner jetzigen Form weg muss, damit die Menschheit vom Zwangswachstum weg kommt, und b) dass da gerade eine Generation die Sache übernimmt, deren Haltung Hoffnung macht, also die jungen Leute, die jetzt so zwischen 16 und 26, 28, 30 sind.

Meine Generation hat's verkackt, so viel ist sicher - da nehme ich mich persönlich nicht aus.


NMAA:

Aber du versuchst ja dennoch dagegen zu wirken, das weiß ich, da wir uns lange genug kennen. Ist das lokale online Magazin „The Düsseldorfer“ für dich auch eine Möglichkeit entsprechend gesellschaftlich etwas zu bewirken?


Rainer:

Ach, das würde dieses kleine lokale Online-Magazinchen überschätzen. Zumal ich es ja zum Jahresende aufgebe... das Alter, das Alter 😊.


NMAA:

Das finde ich untertrieben. Artikel wie der über den Architektenstreit bzw. das Kom(m)ödchen, leisten meines Erachtens nach antifaschistische Arbeit und liefern entsprechende Denkanstöße.


Rainer:

Danke für die Blümchen.


NMAA:

Kommen wir aber zum Anfang, bevor wir über das Ende sprechen. Wie kam es zu der Idee "The Düsseldorfer"?


Rainer:

Anfang 2014 bin ich auf das niederländische Online-Zeitungs-Projekt De Correspondent gestoßen, ein unabhängiges Medium, das sich per Crowd-Funding finanziert hat. Da habe ich mir gedacht: Mmmh, das müsste doch auf lokaler Ebene auch gehen, zumal in einer so spannenden Stadt wie Düsseldorf. 

“Also habe ich im Februar 2015 allein und freischwebend begonnen. Nach der Devise "Nicht jammern, einfach machen."“

Dann habe ich auch ein Crowdfunding gestartet, das aber sein Ziel nicht ganz erreicht hat. Egal, dann eben ohne Finanzierung. Erst wollten einige Kolleg:innen mitmachen, aber als die mitkriegten, dass finanziell kurzfristig nichts zu holen war, sind sie abgesprungen. Also habe ich im Februar 2015 allein und freischwebend begonnen. Nach der Devise "Nicht jammern, einfach machen."


NMAA:

Also war dies dann plötzlich dein Job?


Rainer:

Kann man fast so sagen: Über die Zeit gerechnet war es ein Halbtagsjob. Geld verdient habe ich mit meinem anderen Beruf. Seit Mitte der 80er habe ich immer zwischen Journalismus und PR gewechselt. Früh in den Nullerjahren habe ich mich auf Online-PR gestürzt und enorm viel Erfahrung damit gesammelt. 

“Seit Mitte der 80er habe ich immer zwischen Journalismus und PR gewechselt.“

Mit meinem ollen Blog "Rainer'sche Post" beziehungsweise seinen Vorgängern, bin ich als Blogger schon seit 2002 am Start. Bis heute berate ich liebgewonnene Kunden und schreibe für die auch, was so gebraucht wird. Davon lebe ich. Und seit 2018 bin ich ja auch Rentner und beziehe eine ziemlich kleine Altersrente. Zum Glück hat sich "The Düsseldorfer" von Anfang getragen, also keine Verluste erzeugt. Verdient habe ich in den vergangenen knapp acht Jahren aber kaum etwas damit.


NMAA:

Nun wird „The Düsseldorfer“ zum Verkauf angeboten. Wie sehr schmerzt es da Abschied zu nehmen und dürfen wir erfahren, welches deine Beweggründe waren?


Rainer:

Der einzige Grund ist mein fortgeschrittenes Alter, ich muss und will kürzertreten. Sentimental bin ich in Bezug auf dieses Baby nur in geringem Maße - alles hat seine Zeit. Und watt fott es, es fott.


NMAA:

Ich will nicht Spoilern. Aber so ganz wird der digitale Stift dann doch nicht niedergelegt oder?


Rainer:

Nein. Meine Fortuna-Berichte haben immer die meisten Klicks gebracht. Deshalb löse ich sie aus "The Düsseldorfer" und setze sie in meinen neuen Blog namens "Fortuna-Punkte" - da geht's dann weiter mit Fußball. Momentan suche ich noch Mitstreiter:innen, die regelmäßig was beitragen wollen und können. Zwei in F95-Kreisen bekannte Namen, haben schon zugesagt.


NMAA:

Du gehst ja schon ein paar Jahre zum Fußball bzw. zur Fortuna. Zu meiner Zeit als Ultra haben wir schon den modernen Fußball kritisiert. „Die Blase wird bald platzen“ war unsere Kernaussage. Ist sie aber nicht. Im Gegenteil. WM in Katar, VAR, Erling Haaland wird mit einem Marktwert über 160 Mio. Euro gehandelt. Wie findest du noch den Spaß an der Sache? Was sagt der fußballbegeisterte Fan und was sagt der kritische Journalist, zu der immer absurderen Entwicklung?


Rainer:

Werde ich oft gefragt. Schätze, ich bin da eine gespaltene Persönlichkeit. Einerseits liebe ich den Fußball und habe mich in den letzten Jahren intensivst fortgebildet, was Taktik, Technik etc. angeht. Selbst Spiele der geliebten Diva, kann ich (manchmal) relativ nüchtern aus Expertensicht anschauen und analysieren. Aber wenn ich im Block stehe, dann überwiegt der voll total emotionale Fan. Dann supporte ich, dann leide ich, dann freue ich mich, dann bin ich nur Fortune. 

“Dieser ganze Marketingdreck, den der Bierhoff rund um "Die Mannschaft" angerichtet hat, widert mich an.“

Die WM in Russland habe ich schon aus denselben Gründen nicht geguckt wie jetzt die in Katar. Überhaupt war die WM in Südafrika 2010 die letzte, die mich emotional überhaupt noch berührt hat. Dieser ganze Marketingdreck, den der Bierhoff rund um "Die Mannschaft" angerichtet hat, widert mich an. Überhaupt gucke ich Fußballspiele ohne F95-Beteiligung nur aus "fachlichen Gründen". Begeisterung bringe ich weder bei Nationalmanschaftsspielen, noch bei der Champions League oder diesen anderen europäischen Operettenwettbewerbe auf. Und was ich immer noch daran liebe bei Heimspielen auf der Süd zu stehen, ist es, Teil einer lebendigen Gemeinschaft zu sein - ich sage immer: "Mein Block ist mein Dorf".


NMAA:

Wäre eine „Super League“ wie sie vor ca. einem Jahr zur Diskussion stand, eventuell auch eine Chance den Fußball zu heilen? Würde das in den Ligen nicht für neue Chancengleichheit sorgen wenn man die großen Clubs einfach heraus nimmt?


Rainer:

Ja, ich bin sehr dafür. Alternative wäre, diese Millardenclubs tun sich zusammen, gründen einen Konzern, und die Vereine werden Franchises - so wie die NFL im American Football.


NMAA:

Zurück zur Fortuna. Wenn du zurück blickst. Die letzten Jahre ging es bei Fortuna sportlich eher aufwärts und das Team hat sich in der zweiten Liga etabliert. Was ist besser und was ist schlechter geworden?


Rainer:

Ui, das ist ein weites Feld... Sportlich finde ich momentan alles ziemlich gut. Der Abstieg 2020 war allerdings völlig unnötig. Aber wenn sich die *Ölner mit den Fischköppen verbünden, um das ungeliebte Düsseldorf rauszukegeln, machste nix. Insgesamt hat aber auch der Verein eine insgesamt positive Entwicklung genommen, also in Richtung Stabilität. Allerdings mussten wir Gegner des modernen Fußballs auch so manche personelle Kröte schlucken. Das Wichtigste ist immer noch, dass die Fortuna ein eingetragener Verein, mit echten Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Mitglieder bleibt. Auch die behutsame Finanzpolitik gefällt mir und die diversen CSR-Projekte. Mit dem Zustand der Fanszene habe ich so meine Probleme. 

“Das Wichtigste ist immer noch, dass die Fortuna ein eingetragener Verein, mit echten Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Mitglieder bleibt.“

Mir scheint, die Ultras machen gerade wieder eine schwierige Veränderungsphase durch, und von den anderen Fangruppierungen hört und sieht man wenig. Und dann kommt der Chefrepochter Spocht einer großen Düsseldorfer Zeitung daher und faselt von einer tiefen Spaltung der Fanszene - ein Typ, der noch nie einen Fuß in den Block gesetzt hat. Könnte kotzen...


NMAA:

Viele Menschen die ich kenne haben während Corona, dem Profifußball dann endgültig abgeschworen. Das weitere Austragen der Spiele ohne Zuschauer:innen war meist einer der Hauptgründe. Bist du auch Gefahr gelaufen ähnliche Wege einzuschlagen?


Rainer:

Nein, als akkreditierter Journalist habe ich alle Geisterspiele von der Pressetribüne aus sehen können.


NMAA:

Das muss ja nicht zwangsläufig heißen, dass du das Vorgehen gut gefunden hast.


Rainer:

Ehrlich gesagt: Ich habe in erster Linie daran gedacht, meine F95-Berichterstattung aufrecht zu erhalten. Aber diese Partien ohne Zuschauer waren schrecklich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie KALT die Arena ohne Menschen ist, also, im physischen Sinne kalt. Ich hab immer so gefroren. Bei den Spielen, bei denen teilweise Anwesende erlaubt waren, habe ich mich immer unwohl gefühlt. Grundsätzlich: Was die Saison 2019/20 angeht, die hätte man im März 2020 abbrechen sollen, das wäre die sauberste Lösung gewesen. Und die Saison 2020/21 hätte man auch ganz ohne Fans in den Stadien durchführen können. Schwieriges Thema, aber meine Beziehung zum Profifußball hat die Pandemie insgesamt nicht verändert.

“Für mich ist der größte Unterschied, dass es bei unserem Fußball eben auch eine soziokulturelle Seite gibt.“

Wo wir vorhin bei der Super League waren. Ich bin ja schon seit gut 40 Jahren glühender Fan des American Football - sowohl europäischer Art, wie in der GFL mit unseren Panthers, als auch die künstlichen Ligen wie die mit Rhein Fire und NFL und College Football. Was ich in Relation zu europäischen Profi-Soccer so daran mag, dass die Sache ehrlicher ist. Da wird nicht mit "11 Freunde müsst ihr sein" rumgeschwurbelt, da weißt du, dass es um den Kommerz geht. Das ist transparent, darauf kannst du dich einstellen. Für mich ist der größte Unterschied, dass es bei unserem Fußball eben auch eine soziokulturelle Seite gibt.


NMAA:

Ich bin nie so richtig zum Football gegangen. RheinFire zu den Hochzeiten im Rheinstadion hab ich mal gesehen. Das war’s dann auch. Was würdest du denn einem interessierten Einsteiger empfehlen?


Rainer:

Na ja, bodenständig anfangen und zu den Panthers gehen. Die spielen im Stadion des VfL Benrath, und die Atmosphäre ist total klasse, ganz familiär. Da geh ich mit einem Kumpel, der auch Football-Fan ist ein- oder zweimal pro Saison hin.


NMAA:

Kommen wir nochmal zum Thema Musik zurück. Dein Alter hast du uns ja zu Beginn bereits verraten, die musikalischen Einflüsse ebenfalls. Aber du bist abgesehen von einem Jahr Unterbrechung, durchgehend Düsseldorfer. Düsseldorf war bekanntlich die Punkmetropole in Deutschland, als die erste Welle aus Großbritannien bzw. den USA zu uns rüber schwappte. Ist das gänzlich an dir vorbei gezogen?


Rainer:

Oh nein! Eher im Gegenteil. Ich hab ja von 1971 bis 1976 an der Kunstakademie studiert, und da war die Ratinger Straße unser Wohnzimmer: Einhorn, Uel, Ratinger Hof. Im Hof bin ich natürlich früh mit Punk in Berührung gekommen - eher weniger mit der Musik, sondern mit der Attitüde. Die Olympiade in Monteal 1976 habe ich Abend für Abend im Hof gesehen, die lief da ohne Ton. Und dann die ersten heftigen Konzerte; ich hatte das Glück, den legendären Gig von The Wire zu sehen. Und dann bis weit in 1979 hinein alle möglichen Bands. Aber irgendwann war mir das zu eintönig. 

“...da war die Ratinger Straße unser Wohnzimmer: Einhorn, Uel, Ratinger Hof. Im Hof bin ich natürlich früh mit Punk in Berührung gekommen - eher weniger mit der Musik, sondern mit der Attitüde.“

Ich bin ja, was Düsseldorf angeht, viel mehr mit Kraftwerk, La Düsseldorf und Neu! sozialisiert. Die Kraftwerker habe ich 1969 oder 1970, da hießen sie noch Organisation, im Haus der Jugend gesehen und war fasziniert. Klaus Dinger und Michael Rother sind noch heute für mich Heroen. The Wire waren da ja dicht dran, und spätestens mit der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft war der Bogen geschlagen, da brauchte ich keinen 3-Akkorde-Punk mehr.


NMAA:

Über den Hof existieren ja mittlerweile Bücher und Dokumentationen. Was ist mit den anderen Läden (Uel/Einhorn) die du genannt hast? Waren das auch Orte die zu dieser Punk Avantgarde beigetragen haben?


Rainer:

In Sachen Musik kaum, aber der Geist der Ratinger Straße in diesen Jahren, der war westlich vom Füchschen doch sehr Punk. Punk war zum Beispiel, dass 1976/77 im Hof ein gewisser Rüdiger Berndt kellnerte, ebenfalls Kunststudent, und der trug bei der Arbeit ein pinkfarbenes Satinjäckchen, auf dem Rücken war in knallroten Buchstaben "DKP" aufgestickt. 

“...aber der Geist der Ratinger Straße in diesen Jahren, der war westlich vom Füchschen doch sehr Punk.“

Punk war damals vor allem Konsumverweigerung. Ich bin monatelang mit gelöcherten Jeans, einem dunkelblauen Niki-Pullover mit vielen Löchern und einer abgewetzten hellbraunen Lederjacke rumgelaufen. Fand ich cool. War irgendwie Punk.

Die Siebzigerjahre waren für uns, die wir so zwischen 18 und 28 waren, eine extrem sorglose Zeit. Man hat immer gutbezahlte Aushilfsjobs gefunden, man konnte billig leben, und die Zukunft? Die war weit, weit weg.


NMAA:

Du sagst sorglos. Man liest aber gerade bei den 70er Jahren immer wieder von Konflikten innerhalb der Subkultur. Rocker gegen Punks; Punks gegen Mods und Popper; Mods gegen Teddyboys. Gab es das in Düsseldorf auch?


Rainer:

Mag sein, hab ich nichts von mitbekommen. Als die Popper aufkamen, war ich schon bürgerlich geworden, fester Job, feste Beziehung, das erste Kind. Mods vs. Rocker habe ich in meinem Jahr als Austauschschüler in England 1967 am Rande mitbekommen, also, was darüber in den Zeitungen stand und in den Nachrichten kam. Die schlimmsten Kloppereien auf der Ratinger gab es in den 70ern, wenn die englischen Soldaten mal wieder Bock auf Boxen hatten. Dann zogen die mit 20, 30 Mann auch gern mal durch alle Kneipen und hauten auf alles, was anwesend war. Einmal stand ich gerade in der Uel an der Pissrinne, da hörte ich tierischen Krach aus der Kneipe; da waren die Tommies mal eben durchgezogen und hatten Leute verprügelt und das Mobiliar zerkleinert.


NMAA:

Wie die sind einfach so losgezogen und haben die Leute vermacht?


Rainer:

Jau, eine Art Freizeitvergnügen. Waren praktisch Hools ohne Fußball....

Und die Leute, die damals auf der Ratinger verkehrt haben, waren da ziemlich wehrlos.

“Und ob man denen was gegeben hat oder nicht, mindestens eine Maulschelle fing man sich ein.“

Nach meiner Erinnerung war man in den 60ern und 70ern eh öfter mit körperlicher Gewalt konfrontiert als heute, allerdings in der Regel ohne Waffen. So zwischen 1963 und 1973 gab es in Düsseldorf und Neuss drei mit einander konkurrierende Rocker-Banden. Die haben regelmäßig die Altstadt-Kirmes aufgemischt und wenig darauf geachtet, wer was aufs Maul bekam. Auch bei der Fortuna. Mir ist es mehr als einmal passiert, dass ich auf dem Weg von den Kassen am Europaplatz zum Stadion von irgendwelchen harten Kerlen angehalten wurde: "Los, gib ma Kippe!" oder "Rück n Heiermann raus!" - so Leute vom Hellweg und so. Und ob man denen was gegeben hat oder nicht, mindestens eine Maulschelle fing man sich ein. Schlägereien in den Eckkneipen in den Vierteln gab es auch nicht wenige.


NMAA:

Klingt nach einer eher rauen Zeit im Vergleich zu heute.


Rainer:

Ja, aber es wurde nicht dauernd in den Medien thematisiert.


NMAA:

Wir kommen so langsam zum Ende des Interviews und ich freue mich schon drauf das an anderer Stelle weiter zu vertiefen. Dein aktueller Musiktip fehlt noch. Der Abschluss gehört allein dir! Schreib was du Schreiben möchtest!


Rainer:

Musiktipp? Natürlich ganz aktuell: JayJay mit "Boykott Qatar". Und mit dem Boykott der FIFA-Veranstaltung in Katar darf der Widerstand gegen die mafiosen Fußball-Organisationen nicht aufhören.

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