Donnerstag, 29. September 2022

Nächstes Mal auf Asche - Auf den Zahn gefühlt - Episode 5

Heute: Uwe Umbruch 


Triggerwarnung: In diesem Artikel wird u.a. über Depressionen, Suizid und Drogenkonsum gesprochen. 


Mein heutiger Interviewpartner hat im Musikbuisness schon so einige Kilometer gemacht. Einst Mitglied der sagenhaften und hin und wieder etwas verstörenden Public Toys, findet er sich heute als Sänger der großartigen Band Kommando Marlies wieder. Irgendwo in Bochum zwischen Jahrhunderthalle und Intershop, trainiert sich Uwe zum vielleicht besten Tischtennisspieler, den Bochums Straßen zu bieten haben. Warum die 80er für Punker Kids nicht so leicht waren, wer die elitäre erste und zweite Welle von Düsseldorfs Punkszene darstellte, was der Pumucklterror war und welche Schattenseiten das Leben präsentiert erfahrt ihr hier.

NMAA:

Hallo Uwe und vielen Dank, dass du dich dazu bereit erklärst, mir ein paar Fragen zu beantworten. 

Du bist seit Jahren schon - wie ich finde - ein sehr guter Musiker, begnadeter Tischtennisspieler und ehemaliges Mitglied der Public Toys aus Düsseldorf. 

Aber erzähl doch selbst ein bisschen von dir!


Uwe:

Hallöchen mein Bester. 

Na klar antworte ich dir doch gerne <3 und danke für die Lorbeeren.

Begnadeter Tischtennisspieler aber eher nicht, mehr räudiger Straßenzocker.

Ja gut… zu meiner Person also:

Uwe Umbruch, geboren und aufgewachsen in Düsseldorf Derendorf und da Anfang-Mitte der 80er, mit Punk infiziert worden. Sehr spät zur Gitarre gegriffen - ich glaube 1988 - und noch viel später erst angefangen selber zu singen, das war Ende der 90er.


NMAA:

1988…spät…da war ich 6 Jahre alt. Wer oder was hat dich mit Punk infiziert?


Uwe:

Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen und deren Sohn - mein Onkel (für mich eher Bruder) - ist 10 jahre älter und hat Punk '77 mitbekommen.

Dementsprechend drehten sich bei uns Anfang der 80er viel Clash, Pistols, Male, etc. auf dem Plattenteller.

1983 lernte ich dann Dani kennen, in die ich kurzfristig hart verliebt war und die dann meine beste Freundin wurde, bis zu ihrem viel zu frühen Tod 1989.

“Von nix nen Plan, aber zu Allem bereit“

Jedenfalls führte sie mich in die wunderbare welt des Punk ein, riss mir die Nike-Streifen von den Schuhen, schnitt mir Löcher in die Hose, kippte Domestos drauf und rasierte mir den ersten Iro. Damit war der Weg dann klar. Von nix nen Plan aber zu Allem bereit.


NMAA:

The Clash, Male, Pistols…..

Erinnerst du dich noch an deine erste Platte die dich in diesem Genre so richtig mitgerissen hat und wieviel Deutschpunk war dabei Thema?


Uwe:

Na klar, alles was da so lief war toll.

Wobei ich damals nur das erste Clash Album gut fand und London Calling mir zu luschig war...es ist eine Schande, aber der kleine Uwe wusste es eben nicht besser. Dani spielte mir irgendwann mal ein Mixtape vor und da war von Angelic Upstarts der Song „LAST NIGHT ANOTHER SOLDIER“ drauf.

Krieg‘ sofort wieder Gänsehautentzündung, wenn ich dran denke.

"Wobei ich damals nur das erste Clash Album gut fand und London calling mir zu luschig war...es ist eine Schande, aber der kleine Uwe wusste es eben nicht besser."

Bester Song ever!!!!

Überhaupt Angelic Upstarts <3. 

Naja und ab '83/'84 wurds dann deutschpunkig im Hause Umbruch.

Slime, OHL, Daily Terror. Was da eben so gehört wurde...


NMAA:

Der gute Mensi…viel zu früh von uns gegangen. 

Wie muss ich mir das Mitte der 80er vorstellen. Wo wurde sich in Düsseldorf als Punk getroffen und - es waren die verdammten 80er - wie sehr sah man sich mit Faschos konfrontiert?


Uwe:

Ja leider. Viel zu früh.

Also für kleene Kidpunx wie uns war das ne doofe Zeit. Erstmal Leute finden, die genauso bekloppt waren und dann noch im gleichen Alter. Es gab die relativ eltitäre Punkszene der ersten und zweiten Welle, die haben sich damals immer am Zoopark getroffen.

“Wir sind dann schon einfach viel viel gerannt...wahlweise vor Skins oder Psychs, die es damals ja noch häufig zu sehen gab.“

Leute wie der Bollock und der Tarzan etc...

Die wollten, dass ich für sie Bier holen gehe, da bin ich dann nich mehr hingegangen. Das war mir nix.

Irgendwann hab ich auch Gleichgesinnte gefunden und wir sind dann schon einfach viel viel gerannt. Wahlweise vor Skins oder Psychs, die es damals ja noch häufig zu sehen gab.

Ich weiss noch,1986 glaub ich. Wollte zu Studio 33. Plattenladen in der Altstadt damals.

Vor dem Laden drei Glatzen, die mir leise zusäuselten, dass sie auf mich warten würden bis ich wieder rauskäme.

Hab mir damals ne Adicts Platte geholt, bin raus und es gab richtig lang Kasalla.

Passierte relativ häufig Ende der 80er/Anfang der 90er.


NMAA:

Bollock und Tarzan😂…da fand ich die späteren Spitznamen wie „Ratte“ oder „Kotzer“ besser. 

Elitäre Punkszene. Wie muss ich mir das vorstellen? Sind das eher die Modepunks gewesen, die durch Patti Smith und das Chelsea Hotel beeinflusst wurden?


Uwe:

Bollock, Tarzan, Aram und wie die alle hießen, das waren schon meine Helden.

Wenn die irgendwo aufgelaufen sind, dann waren das irgendwie auch kleine Rockstars. Fand ich jedenfalls.

Die waren halt stylisch, das fand ich damals und find es auch heute noch, ziemlich geil.

So wollte ich früher schon gerne sein.

Es war dann natürlich auch ein bisschen ernüchternd, wenn sich die coolen Leute plötzlich in Menschen mit Verfehlungen verwandelten.

Leider auch schon fast alle tot.


NMAA:

Was heißt Verfehlungen? Weil sie sich dann als Arschlöcher entpuppten? Und waren das auch Menschen, die in Bands gespielt haben?


Uwe:

Ich würd jetzt nicht Arschlöcher sagen.

Einfach menschlich,manchmal arrogant und elitär eben. Vielleicht typisch Düsseldorf. Aram war Sänger bei "Aram und die Schaffner", Bollock Rowdy bei den Hosen und Tarzan hab ich später näher kennengelernt, das warn‘ superlieber Kerl eigentlich.


NMAA:

Und dann….kamen die "Public Toys".


Uwe:

Nee vorher gabs die "Aki Mau Maus".

So hieß meine erste Band.

Das war so ziemlich uncooler Dadapunk mit DER PLAN Anleihen, ziemlich drüber und fast schon Jazz, weil wir ja alle nix konnten.

Danach gab es dann die Screaming Arseholes. Die es immerhin auf einen Sampler-Beitrag, auf der Single vom Zosher-Fanzine, brachten.

Das war dann klassischer Deutschpunk im uffta uffta Rhythmus... Und daraus resultierten dann irgendwann die Toys.


NMAA:

Die erste Besetzung bildete bei den "Public Toys" Usenburger, Roman, Guido, Fozzie und Du. Kanntet ihr euch alle schon vorher? Bzw. wart ihr in den Vorgänger-Bands gemeinsam aktiv?


Uwe:

Also Guido und Roman kannte ich weil wir mit deren Band DEAD BORN BABIES zusammen den Proberaum teilten.

Guido war gleichzeitig auch noch der Bruder meiner damaligen Freundin und so kam Eins zum Anderen.

Roman war ursprünglich eigentlich als Nummernboy gedacht, so steht es zumindest auf Toilettenpapier geschrieben.

“Usenburger war eigentlich der Drummer von NOTRUF, wir sagten ihm, dass es bei uns mehr Bier und mehr Gigs gäbe. Das machte den Unterschied.“

Jedoch fehlte uns ein Basser, also ließ sich Roman breitschlagen.

Fozzie lernte ich '89 kennen als er mich fragte wo es zum 999 Konzert ginge.

Darauf sagte ich nur, dass er mal zum Singen vorbei kommen könne. Verrückte Zeiten.

Usenburger war eigentlich der Drummer von NOTRUF, wir sagten ihm, dass es bei uns mehr Bier und mehr Gigs gäbe. Das machte den Unterschied.


NMAA:

Ich hab euch auf dem Sampler „Für immer Fortuna“, der irgendwann Anfang der 90er auf Wolverine Records erschien, entdeckt. Das „Oh Fortuna“ läuft angeblich bis heute, in diversen Fanbussen rauf und runter. 

Wie kam es dazu? Seid ihr alle zu eurem Rockstar-Dasein, auch noch regelmäßig ins Stadion gegangen?


Uwe:

Teilweise. Also Roman is’ schon ziemlich oft dagewesen, zusammen mit unserem "Jungen für Alles“ Marcus Habib.

Ich selber war Anfang der 80er, mit meinem Opa oft im Stadion. Irgendwann dann natürlich ohne ihn. 

In der Schule wurd’ ich dann als Köttel  damals in so nen‘ Kinderhooliganclub „PUMUCKL TERROR“ reingeholt.

Oh man, das war richtig peinlich im Nachhinein.

“In der Schule wurd’ ich dann als Köttel  damals in so nen‘ Kinderhooliganclub „PUMUCKL TERROR“ reingeholt.“

Jeder bekam ne billige C&A Bomberjackenkopie und nen selbstgemalten Pumuckl Terror Aufnäher drauf.

Ich weiss noch, wie wir das erste Mal in der Halbzeit rüber wollten zu den Frankfurtern(im Rheinstadion).

30 Picos und auf der anderen Seite Frankfurter Adler und in der Mitte die Cops, die brüllten "wir lassen die Hunde los". Alter hatte ich Schiss. Und dann kamen die Hunde…


NMAA:

Pumuckl Terror. Der Name sagt mir sogar noch was. Gab glaub ich bei Hertha ne recht große Hooligan Gruppe mit ähnlichem Namen. Hat es denn tatsächlich häufiger gekracht? Wieviel Leute waren das in eurer Szene?


Uwe:

Das sollte quasi die Kinder- und Jugenddelegation von FORTUNA TERROR werden.

Aber ich glaub der Typ der da der Chief war, wurde von Fortuna Terror selber nicht ganz ernst genommen.

“Insgesamt waren das vielleicht 30 kleine Picos beim Pumuckl Terror...und je häufiger ich PUMUCKL TERROR schreibe desto mehr muss ich lachen.“

Das Ganze hat sich relativ schnell zerschlagen und unsere glorreichste Aktion war vermutlich, ordentlich Rabbatz mit den Cops während nem Spiel gegen Schalke. Und wir sind mal vor Gladbach Fans weggerannt. Obwohl die echt wenige waren. Insgesamt gab es vielleicht 30 kleine Picos beim Pumuckl Terror. Und je häufiger ich PUMUCKL TERROR schreibe, desto mehr muss ich lachen.


NMAA:

Wie hat das mit deinem Punker-Dasein zusammen gepasst? Hooligans gerade in den 80ern, waren ja nicht selten stramm rechts.


Uwe:

Das musste gar nicht passen. Das waren ziemlich turbolente Teenie-Jahre (also irgendwo zwischen 11-12-13).

Als Punk bei mir losging war schon klar, dass das mit Forteng so erstmal nicht mehr geht.

Punks waren da eher nicht so gerne gesehen.

Jedenfalls im 36er/37er nicht. Ich war zu der Zeit auch für eine Saison im Schützenverein, weil mir nen Kumpel sagte, man könne da gut Chips für die Kirmes abgreifen und die Mädels stünden drauf.

Dummerweise hab ich dann son’ Holzflügel abgeschossen und musste gefühlt 1000 Stunden mit dem Ding rummarschieren.

“Als kleiner Kiddiepunk warste da nicht gern gesehen, da kamen dann gern die Hellweg-Assis mit 3 Punkten unterm Auge und verteillten Gratisschellen.“

Hab danach die Uniform nie wieder angezogen...

Was Fortuna anging:

Als kleiner Kiddiepunk warste da nicht gern gesehen, da kamen dann gern die Hellweg-Assis mit 3 Punkten unterm Auge und verteillten Gratisschellen. (Anm.d.Redaktion: Von uns ist wer am Hellweg groß geworden - wir entschuldigen uns bei Uwe für alle evtl. -durch unsere Eltern - entstandenen Unannehmlichkeiten😅).


NMAA:

Und wie ist das heute? Gehörst du zum alten Eisen oder gehst du noch zum Fußball?


Uwe:

Was soll ich sagen. Ich spiele schon noch sehr gerne selber Fußball.

War auch vor ein paar Jahren nochmal mit meiner Tochter sowohl bei der Forteng, als auch beim VfL Bochum, wo ich ja mittlerweile lebe. Aber kostet halt auch alles Geld und manchmal sind dann auch Konzerte und manchmal hab ich auch einfach oft keinen Bock.


NMAA:

Und manchmal auch einfach oft….😀. 

Konzerte sind mein Stichwort.

Public Toys...Hotel Energieball…Revolvers…Kommando Marlies…Ganz schön umtriebig. 

Wo war’s für dich bisher am schönsten und mit welcher Band gab es das meiste Potential zum Leben als Rockstar? 

Ich würde sagen die Toys, da es damals -unvorstellbar - in den meisten Haushalten wenig bis gar kein Internet gab und die Zeit noch nicht ganz so schnelllebig voran schritt.


Uwe:

Eigentlich fand ich’s in jeder der genannten Bands ganz geil.

Am erfolgreichsten wären sicher die Revolvers geworden, da haben wir wirklich ziemlich viel reingesteckt.

3 x die Woche geprobt, jedes Wochenende gezockt, dazwischen drei Platten gemacht. Das war schon ein ordentliches Pensum.

“Wenn du keine Booking-Agentur hast, siehts echt finster aus im Moment. 

Ich bin schon froh, wenn ich bei ner‘ Anfrage mal überhaupt ne’ Antwort bekomme.“

Drei Touren dabei... u.a. in Spanien. Das war schon was.

Jetzt bei Kommando Marlies gefällts' mir auch ordentlich gut.

Es sind nur momentan totale scheiss Zeiten.

Gerade für kleine Bands.

Wenn du keine Booking-Agentur hast, siehts echt finster aus im Moment.

Ich bin schon froh, wenn ich bei ner‘ Anfrage mal überhaupt ne’ Antwort bekomme.

Bei den Toys war es schlicht so, dass wir echt ziemlich selbstzerstörerisch waren.

Also ne’ klassische Punkband mit all dem Rotz der eben dazugehört, Drogen, Alk, das ganze Programm und ich möchte davon auch keine sekunde missen.

Aber so baut man eben nicht unbedingt „The Next Big Thing“ auf.


NMAA:

Es kursiert das Gerücht, dass ihr mit den Toys nur mit Erwachsenen-Windeln bekleidet, in Hamburg aufgetreten seid, euch während des Gigs in die Haare bekommen habt und euch dann untereinander auf der Bühne - vor Publikum - geprügelt habt. 

Wieviel Wahrheit ist da dran? Ich persönlich hoffe es stimmt Alles, denn ich erzähle die Geschichte jedesmal in Rheinländer-Manier weiter. Du hast die Möglichkeit nun noch Einen drauf zu setzen! Go:


Uwe: 

Ist kein Gerücht, das kann ich wohl sagen.

Allerdings war der Gig in Verden.

Es gibt auch irgendwo Fotos. Ich glaube auf der Public Toys Facebook-Seite.

“Gitarre verstimmt und kaputt, plötzlich gabs Geschrei und zack! Hatten wir uns auf der Bühne aufgelöst als Band.“

Geprügelt haben wir uns allerdings nicht.

Wir wollten halt lustig sein und waren vor allem sehr sehr toxisch angeschlagen. Gitarre verstimmt und kaputt, plötzlich gabs Geschrei und zack! Hatten wir uns auf der Bühne aufgelöst als Band. 

Jeder in ne’ andere Bar und weiter Geschrei zwischendurch. Ein paar Stunden später haben wir wieder zusammen getrunken.


NMAA:

Das klingt nach einer bewegten Bandgeschichte. Corona, Krieg, Inflation…Wie findet man noch die Motivation Musik zu machen? Was treibt dich da an?


Uwe:

Das ist die Motivation. Ablenkung. Ich kann ja nicht die ganze Zeit nur Nachrichten  sehen bzw. hören oder lesen.

Beim Musik machen, kann ich meinen Akku wieder füllen.


NMAA:

Wir beide teilen ja - leider - abgesehen von unserer Liebe zur Musik und gegenseitiger Sympathie noch etwas miteinander. Meinst du das Musik da auch eine Möglichkeit für sinnvolle Skills setzt?


Uwe:

Du meinst die Depression, Panikattacken, Angstzustände?

Zumindest in meinem Fall.

Es ist schwierig.

Es gibt Situationen, da will ich eigentlich nicht in den Bandbus einsteigen, weil ich das Gefühl hab, ich bekomme keine Luft mehr oder ich muss mich übergeben. Oder das jeder andere in dem Auto meinen Herzschlag hört, weil der so laut und wummernd ist, oder sieht wie ich schwitze.

“Es gibt Situationen, da will ich eigentlich nicht in den Bandbus einsteigen, weil ich das Gefühl hab, ich bekomme keine Luft mehr“

Das ist dann der Moment, wo ich mich mit mir auseinandersetzen muss und meine Übungen mache. Meine Skills einsetze.

Wenn das nicht hilft bleiben noch Akut-Tabletten.

Das kommt aber selten vor.

Wenn wir dann ankommen und der Konzert-Alltag einsetzt, dann ist das gut für mich und lenkt mich ab.

Beim Soundcheck merke ich langsam wie es mir besser geht. Wenn ich fühle das der Sound von den Gitarre so ist, wie ich das mag.

Dann fang ich an zu singen und fühl mich sicher.

Soundcheck vorbei und ich fall wieder zusammen.

Wenn der Gig beginnt und der erste Song vorbei ist und alles klappt, merke ich plötzlich wie ich mich verwandel.

Dann bin ich plötzlich Uwe Umbruch. Und der Typ ist ziemlich selbstsicher und weiß eigentlich immer was er da tut.

Das funktioniert in etwa so, wie früher das Pulver. Wenn der Auftritt dann vorbei ist, sacke ich wieder komplett zusammen und fühl mich wie der einsamste Mensch der Welt.

Das ist die Eine Sache. Was Anderes ist es wenn ich Musik schreibe.

Also Songs komponiere und texte.

Das mache ich meistens wenn ich ne Panik- oder Angstattacke habe.

Dann geht das eigentlich ziemlich zügig wieder weg. Und meistens kommt sogar nochn‘ guter Song dabei rum....


NMAA:

Und trotzdem stellst du dich dem immer wieder. Das ist eine großartige Leistung wie ich finde. Das ist für mich wie Marathon laufen, mit zwei gebrochenen Beinen. Wie lange hast du die Erkrankung schon?


Uwe:

Aufgeben ist halt keine Option. Für mich jedenfalls nicht. Ich schlepp’ die Scheisse eigentlich schon mein ganzes Leben mit mir rum. Meine erste Angst- oder Panikattacke hatte ich mit 7 oder 8 Jahren. Da wusste ich erst ma’ gar nich’ damit umzugehen.

“Aufgeben ist halt keine Option“

Ging dann aber auch schnell wieder weg.

Das nächste Mal mit 14 war schon heftiger und dauerte auch deutlich länger.

Jeden Tag Angriffe vom Unterbewusstsein können echt schlauchen. Gerade in so nem Alter….

Mit 15 dann die erste Therapie.

Dann fingen die Depressionen an, Selbstmordgedanken etc....


NMAA:

Wenn dich jemand "gesundes" fragt: Wie fühlt sich sowas an? Also eine Depression. Was würdest du antworten?


Uwe:

Puh…schwere Frage.

Du willst aufstehen, aber kannst nicht.

Du willst rausgehen, aber kannst nicht.

Du willst jemanden berühren, aber kannst nicht.

“Müde und geschlaucht von dir selbst.“

Du willst Lust empfinden, aber kannst  nicht.

Du willst Glück spüren, aber kannst nicht.

Du willst leicht sein, aber bist schwer.

Müde und geschlaucht von dir selbst.

Antriebslos. Kaputt und alt, obwohl jung.


NMAA:

Puh... Jetzt musste ich doch kurz schlucken…Was würdest du sagen um ehrlich, jemandem der sich erst seit kurzem mit der Erkrankung konfrontiert sieht, Hoffnung zu machen? Ich meine, auch du kämpfst dich immer wieder raus.


Uwe:

Noch schwerere Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob ich da ne gute Antwort habe.

Depressionen sind ja auch eine ziemlich individuelle Erkrankung, die bei jedem anders rein haut.

Also Menschen für die das Thema neu ist, rate ich sofort zum Arzt zu gehen, zum Neurologen, zum Psychotherapeuten und zum besten Freund oder Freundin um sich da anzuvertrauen.

“Gute Ratschläge wie "Kopf hoch, das wird schon wieder" oder "Einfach mal an was Positives denken" helfen nicht!“

Es gibt Hilfe, es dauert vielleicht, aber in vielen Fällen gibt es Hilfe.

Manchmal kann man sich selbst nicht mehr aufraffen, dann ist es gut wenn da ein Mensch neben dir sitz, der dir nahe steht, dich hochzieht und mitnimmt. Es ist schwierig, aber nicht hoffnungslos.

Wichtig für Menschen die Freunde haben, die unter Depressionen leiden:

Gute Ratschläge wie "Kopf hoch, das wird schon wieder" oder "Einfach mal an was Positives denken" helfen nicht!


NMAA:

Findest du das Thema bekommt so langsam in der Gesellschaft den nötigen Platz?


Uwe:

Leider noch nicht genug und es hat sich noch zu wenig getan wie ich finde.

Bleiben wir mal beim Fussball. Als Torhüter Enke von Hannover sich das Leben genommen hat, war der Aufschrei groß und das Thema bekam plötzlich ein bekanntes Gesicht. Aber was ist denn davon übrig geblieben? Der Druck, der innerhalb der Gesellschaft ausgeübt wird, ist doch eher größer als kleiner geworden.

Nicht nur im Fußball, alle müssen immer mehr leisten und keiner ist dem Druck gewachsen und wenns‘ dann soweit ist, haben wir zu wenig Kliniken die das auffangen können.

Hier in Bochum war das vor ein paar Jahren so. Da ist ein guter Freund, von einem Freund von mir, in totale Panik geraten und hat dem Druck eben nicht mehr standgehalten.

“Keiner ist dem Druck gewachsen und wenns‘ dann soweit ist haben wir zu wenig Kliniken die das auffangen können.“

Ist sofort in die Klinik, die ihn aber wieder weggeschickt hat, mit der Bitte, er möge später wiederkommen.

Der is’ dann aber tatsächlich vor nen‘ Zug gesprungen und nun tot!


NMAA:

Eigentlich hatte die Gesellschaft „dank“ Corona die Chance, ein wenig auf Entschleunigung zu setzen. Irgendwie muss aber immer weiter gemacht werden. Immer mehr. Immer schneller, höher, weiter... Du selbst bist liebender Vater. Macht dir diese Entwicklung Angst, wenn du an den Nachwuchs denkst?


Uwe:

Ja das macht mir totale Angst.

Brauchst‘ ja nur mal zu googlen. Seit Corona hat sich die Zahl der Jugendlichen mit Depressionen vervielfacht.

Da war pädagogisch einfach auch viel Mist dabei, was Regeln angeht. Als Eltern sind wir da natürlich auch gefordert. Was wir mit unseren Kindern unternehmen, wieviel Social-Media wir zulassen. Wo es vielleicht nur ums konsumieren und weniger um Austausch geht. Und ich seh natürlich auch, dass sowas bei meiner eigenen Tochter Spuren hinterlässt.


NMAA:

Aber du reflektierst. 

Sowohl dich, als auch die Gesellschaft und bist somit, einer ganzen Reihe Menschen, einen weiten Schritt voraus. Ich fand es unglaublich toll, was und wie ehrlich du geantwortet hast. Wir kommen so langsam zum Ende unseres Interviews und wieder finde ich es schade, dass wir nicht noch mehr aufs Papier bringen konnten. Ich will dich aber nicht so einfach aus dem letzten Statement entlassen. Was können wir tun, dass wir etwas behutsamer miteinander und unserer Umwelt umgehen? Was wäre dein Anstoß zur Veränderung?


Uwe:

Wenn ich das mal wüsste.

Ich hab oft keine Ahnung was richtig und was falsch ist.

Was ich weiss ist, dass uns die sozialen Medien viel zu sehr vereinnahmen.

Ich hab letztens mal auf meinem Handy nachgeschaut, wie lange ich da unterwegs war.

Ich sach‘ mal so: Deutlich zu lange.

“Ich glaube es gibt kein Allheilmittel und vielleicht fangen wir einfach bei uns selber an.“

Ich glaube wir sollten uns wieder mehr umeinander kümmern und nicht wegsehen wenn z.b. die Frau, die über mir gewohnt hat, nur rumschreit und plötzlich fast nackt durch den Hausflur läuft.

Dann mach ich bitteschön die Tür auf und kümmer mich.

Ich glaube es gibt kein Allheilmittel und vielleicht fangen wir einfach bei uns selber an.

Ist ne’ Erfahrung, die ich gemacht hab’, wenn ich überleg’ was ich früher fürn’ Mensch war und ich wie ich’s heute sehe..

Wenn wirs‘ wenigstens mal schaffen würden untereinander, in unserer kleinen Blase, nicht son’ Druck zu machen. Dann wäre schon viel gewonnen. Ich erinner mich da an son’ Kollegen der 2017 mal ein konzert mit den Revolvers gemacht hat.

Musste ich absagen, weil ich kurze Zeit vorher, plötzlich ein ziemlich großes Tinnitus-Problem bekam. 

Was mich eh schon nochn’ Stückchen weiter in Richtung Depression getrieben hat.

Der Typ wurde daraufhin ziemlich beleidigend.

Hab ich ihn mit konfrontiert, woraufhin er nur was brabbelte, dass ich auhören solle zu heulen.

Kann man natürlich so machen… Muss man aber eben auch nicht.

So Menschen spielen in Bands und veranstalten Konzerte... Auch heute noch.


NMAA:

Empathie heißt hier wohl das Zauberwort. 

Lieber Uwe, ich bedanke mich herzlich für deine Zeit und schicke dir eine virtuelle Umarmung (auch wenn wir Beide keine großen Fans von körperlicher Nähe sind). Ich hoffe selbstverständlich, dass wir dieses Gespräch in einer persönlichen Begegnung nochmals vertiefen können, ich hoffe du machst noch lange Musik, aber am allermeisten hoffe ich dass du dein Kämpferherz behältst und irgendwann diese verfluchte Erkrankung vielleicht sogar besiegst. 

Die letzten Worte gehören wie immer dir. Wenn du möchtest nenne uns noch deinen aktuellen Musiktip. 

Nochmal vielen vielen Dank für deine Zeit.


Uwe:

Oha…berühmte letzte Worte.

Also ich hoffe wir sehen uns bald mal wieder und machen ein paar der Dinge wahr, über die wir sprachen.

Ich glaube nicht wirklich, dass man die Krankheit besiegen kann, aber ich glaube, dass man lernen kann mit ihr zu leben und auch ein einigermassen qualitativ gutes Leben zu führen und darum gehts ja letzten Endes. Schönen Dank jedenfalls für die nette Plauderei. 

Auch wenns‘ ein bisschen ans eingemachte ging, aber auch das finde ich richtig und wichtig.

Als letztes also noch zwei meiner aktuellen Lieblingssongs. Schöne Grüße an alle Kaputten da draußen! Liebe für Alle!!! Außer für Nazis!


ROTTEN MIND - DRIFTER


BAD NERVES - CAN'T BE MINE




Kommando Marlies (Uwe‘s Band) spielen am 07.10.2022 im Ratinger Hof in Düsseldorf. Kommt vorbei! Es wird spitze!


Ich bedanke mich nochmals bei Uwe für seine Offenheit, aber auch für das ein oder andere wirklich witzige Schmankerl! 



Zum Schluss noch ein paar eigene Worte:

Das Thema Depression rückt dank prominenter Vertreter:innen tatsächlich etwas mehr in die Gesellschaft. Aber eine Depression ist nicht nur eine Erkrankung über die gesprochen, sondern die auch DRINGEND behandelt werden muss. Kurt Krömer und Torsten Sträter sind wohl mit die berühmtesten Vertreter, welche sich dieser Thematik angenommen haben. Ich will deren Engagement auch überhaupt nicht runter reden und halte es für wichtig, aber Kurt Krömer und Torsten Sträter sind vermutlich keine Kassenpatienten mit geringem Einkommen und bekommen aller Wahrscheinlichkeit nach, recht zügig einen Therapieplatz angeboten. Andere Menschen warten hierauf nicht selten mehrere Monate… Manchmal so lang, dass es zu spät ist… Und das ist mehr als tragisch. Umso wichtiger ist es Erkrankten in eurem Umfeld - im Rahmen eurer Möglichkeiten versteht sich - beizustehen und damit meine ich nicht 24/7 Betreuung, einige lehnen in einer aktiven depressiven Episode ohnehin jegliche Hilfe ab. Manchmal hilft nur ein Anruf um düstere Gedanken verschwinden zu lassen… Ein Anruf der vielleicht ein Leben retten kann. 


Bleibt gesund und tapfer!


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