Samstag, 12. November 2022

Nächstes Mal auf Asche - auf den Zahn gefühlt - Episode 9

Heute: Anneliese Schmidt


Triggerwarnung: In diesem Artikel wird über Gewalt gegenüber Frauen gesprochen. 


Wir möchten heute nicht viel zu unserer Interviewpartnerin schreiben, denn das nachfolgende Thema ist viel zu wichtig, als dass wir durch eine unnötig lange Einleitung, den Fokus auf unsere Worte richten wollen. Bitte lest es! Bitte helft wenn ihr könnt! Danke Anneliese, dass es dich gibt!


NMAA:

Hallo Anneliese und vielen Dank für die Zeit die du dir nimmst, um uns ein paar Fragen zu beantworten. Ich beginne sofort mit der Ersten! Anneliese Schmidt ist nicht dein richtiger Name. Ist das ein Künstler-Pseudonym?


Anneliese:

Hallo Niko, freut mich, von dir zu hören! 

Leider ist es in der Tat nicht mein richtiger Name, sonst gäbe es einen Song mir zu ehren... Das ist sowas, wie mein Internet-Alter-Ego. Aufgrund meines Jobs, mag ich nicht mit meinem Klarnamen auftreten. Außerdem lässt es sich so schöner pöbeln. :)


NMAA:

Also bist du großer Ärzte Fan oder bei der Mafia oder Auftragsmörderin Oder einfach Berühmtheit…


Anneliese:

Ja, ich bin scheinbar damals falsch abgebogen und bin als Düsseldorferin, bei dieser Berliner Band gelandet. 

“Sozialarbeiterin doing Sozialarbeiterinnen Zeug.“

Und zu meinem Job - ich würde sagen, ein bisschen von Allem. Sozialarbeiterin doing Sozialarbeiterinnen Zeug. 

Am ehesten Berühmtheit, wenn ich an die Massen von Visitenkarten denke, die in den Haushalten dieser Stadt unterwegs sind.


NMAA:

Das Abbiegen zum Punk wurde dir in die Wiege gelegt? Oder wie kam es dazu?


Anneliese:

Oh je, da muss ich ausholen...

Mein erstes selbst gekauftes Album war leider so gar nicht Punk, sondern Def Leppard mit "Adrenalize". Ich komme aus einem Schlager-affinen Haushalt und wollte da wohl irgendwie gegensteuern. Ich hab’s geliebt.

Gleichzeitig hatte ich aber auch Punks bei mir an der Schule, die schon in der Oberstufe waren. Gaaaanz vielleicht war ich in Einen ein bisschen verknallt. (Ich hoffe, die Person liest das hier niemals!) Da habe ich mich dann ein bisschen reingeschmuggelt und bin von Konfettipunk, zu ganz guten Sachen gekommen. Neben Die Ärzte, waren die Boxhamsters mein großer Favorit. 

“Damals gehörte dieses wütend sein, auf Demos gehen und laute Krachmusik hören zwingend zusammen.“

Gegenüber meiner Schule gab es auch das "Cräsh", wo ich zum Leidwesen meiner Eltern erste Platten, Piercings und auch Haarfarben erstanden habe. Da war ich so 12/13. Zeitgleich fing es überall in der Republik an zu brennen. Rostock, Mölln und schließlich Solingen. Das hat mich damals sehr wütend gemacht und so wuchs ich Küken, mit den Jungs aus der Oberstufe zusammen. Damals gehörte dieses wütend sein, auf Demos gehen und laute Krachmusik hören zwingend zusammen.


NMAA:

Wo bist du aufgewachsen?


Anneliese:

Im wilden Lierenfeld. Also irgendwo zwischen Eller, Flingern und Oberbilk.


NMAA:

Gab es da denn einen Hotspot für Punker:innen?


Anneliese:

Es gab nur einen einzigen Punk im Dorf. Ich befürchte, das war ich. Ich bin allerdings mal heimlich nachts zu einem Treffpunkt um die Ecke, um auf ein Konzert zu fahren und bin dabei den nicht ganz so netten Skins, über den Weg gelaufen. Die waren so 7, ich war alleine. Klingt voll spannend, aber am Ende war nix. Einer war in der Parallelklasse und hat den Rest an mir vorbei gelotst.


NMAA:

Von welchem Jahr sprechen wir da? Und wie sehr sah man sich mit anderen Subkulturen konfrontiert? Uwe Umbruch hatte zuletzt von diversen Jagdszenen erzählt. Gab es das bei dir auch noch?


Anneliese:

Das muss so 1993/94 gewesen sein. Ich kann nicht von Jagdszenen sprechen. Ein bisschen Konfro hier, ein bisschen da. Es war jedenfalls in den 90ern Nazi mäßig auch schon einiges los hier. Da gab es Torsten Lemmer und Störkraft noch und auch irgendeine Nazi-Partei, hatte in Eller ihren Hauptsitz. Das war schon spannend.

“Außerdem war ich als "Mädchen" ja eh nicht ernst zu nehmen“

Ich denke aber, dass ich da einfach noch zu jung war, um das so richtig mitzubekommen. Außerdem war ich als "Mädchen" ja eh nicht ernst zu nehmen 😉.


NMAA:

Als Mädchen nicht ernst zu nehmen“. Nur bei derartigen Konfrontationen oder generell in Subkultur-Kreisen?


Anneliese:

Ersteres auf jeden Fall, in den subkulturellen Kreisen aber auch ein bisschen. Aber ich war auch eher das Gör, die Kleine.


NMAA:

Und dann kamst du zum Fußball….


Anneliese:

Oh je, ja. Dann kam ich zum Fußball.

Fußball war eigentlich immer da, aber freiwillig bin ich erst sehr spät dazu gestoßen. Also so regelmäßig. Meinen ersten Stadion Besuch hatte ich mit 5.


NMAA:

Also gezwungenermaßen mit 5 Jahren zum Fußball…..


Anneliese:

Naja, ich konnte mich noch nicht sooo gut gegen meine Eltern durchsetzen.

Ich hatte aber Spaß, ich will mal nicht so sein.


NMAA:

Es ging direkt ins Rheinstadion?


Anneliese:

Wenn du das sagst. Daran erinnere ich mich wirklich nicht mehr.


NMAA:

Du bist ja später - und das weiß ich - zu Soul City - einer Ultra Gruppe, von Fortuna Düsseldorf. Erzähl mal…!


Anneliese:

Du stellst ja Fragen. 😅 Ich bin da so reingerutscht. Ich war halt ständig bei Fortuna, zuhause und auswärts und drumrum. 

“Ich vermute, ich wurde aus Mitleid adoptiert, weil ich so einen schlechten Musikgeschmack hatte.“

Ich vermute, ich wurde aus Mitleid adoptiert, weil ich so einen schlechten Musikgeschmack hatte.

So haben wir uns aber auch kennengelernt, oder?


NMAA:

Ja genau.


Soul City war oder ist nicht die typische Ultra Gruppe.

Mods, Punks, Skins, Hardcore Kids…verrückte Mischung. War das damals ein Auffangbecken für die Subkultur Angehörigen?


Anneliese:

Ja, das kann man schon so sagen. Ich habe mich da schon sehr wohlgefühlt und hatte nebst Reisebegleitung zu Spielen auch wen, um über Musik zu quatschen.


NMAA:

Heute findet man dich im folgenden Musikgenre wieder: 


Anneliese:

Ich höre weiterhin gerne Schrammelpunk, aber ich bin heute eher so in Richtung OC-Punk und Hardcore unterwegs. 

Die alten Social Distortion Sachen liebe ich, nach nem langen Tag höre ich auch sehr laut Youth of Today und Sowas. Meine Nachbar*innen lieben mich.


NMAA:

Die Musik dient als Ausgleich zu einem recht belastenden Job nehme ich an….


Anneliese:

Oh ja, auf jeden Fall. Manchmal muss ich mir dann so den Kopf frei pusten.


NMAA:

Erzähl uns ein bisschen mehr von deiner Arbeit.


Anneliese:

Ich arbeite in einer Frauenberatungsstelle mit Betroffenen von häuslicher Gewalt.

Das ist manchmal schon harter Stoff, aber ich würde nie mehr etwas anderes machen wollen.


NMAA:

Ist das nicht manchmal arg frustrierend, wenn man sieht wie rückständig wir gesellschaftlich häufig sind?


Anneliese:

Wenn ich das große Ganze betrachte, ist es super frustrierend. Aus feministischer Perspektive könnte ich den halben Tag kotzen, als Sozialarbeiterin bin ich dankbar, dass ich einigen Frauen helfen kann neue, gewaltfreie Lebensperspektiven zu entwickeln.

“Wenn ich sehe, wofür Frauen in der Politik kritisiert werden und mir dann Andi Scheuer ansehe, könnte ich kotzen.“

Wenn ich mir allerdings die Diskussionen über den Gendergap oder Frauenquote ansehe, bin ich manchmal hoffnungslos. Wenn ich sehe, wofür Frauen in der Politik kritisiert werden und mir dann Andi Scheuer ansehe, könnte ich kotzen.

Auch der Reflex beim Thema Gewalt gegen Frauen, von Gewalt gegen Männer zu sprechen... Ich verstehe ihn einfach nicht. Das relativiert nur, was seit Ewigkeiten für viele von uns Realität ist.

Versteh mich nicht falsch, beides existiert und sind wichtige Themen. Es sind nur unterschiedliche Diskussionen.


NMAA:

Was glaubst du woher kommt diese reaktionäre Haltung heute noch?


Anneliese:

Das ist jetzt nur mein Geschwurbel, ich habe da keine Studien zu gemacht. Aber zum einen liegt es natürlich daran, wie wir alle aufgewachsen sind. Seit keine Ahnung wie vielen Jahren, bekommen wir genau diese Rollenbilder und Strukturen übermittelt und solche Muster sind schwer aufzubrechen. 

“Jetzt könnte man natürlich kritisieren, dass ich auch gerne unter falschem Namen pöbel. Aber pöbeln bedeutet für mich, mich zu wehren.“

Zum anderen glaube ich auch, dass Social Media da einen guten Teil dazu beiträgt. Jede Person kann ihren Scheiß irgendwohin rotzen, ohne dafür Verantwortung übernehmen zu müssen. 

Jetzt könnte man natürlich kritisieren, dass ich auch gerne unter falschem Namen pöbel. Aber pöbeln bedeutet für mich, mich zu wehren. Und ich nutze meinen Klarnamen nicht, weil ich mich und mein Umfeld schützen möchte. Wegen der realen Gefahr durch Partner meiner Klientinnen und auch wegen dieser Internetottos.

“Und jeden dritten Tag stirbt eine Frau beim Versuch sich zu trennen.“

Es mag den geneigten Leser*innen aufgefallen sein, dass ich manchmal nicht gendere. Es liegt an der Realität, in der ich mich bewege. Gute 80% der Opfer von häuslicher Gewalt, sind Frauen. Durch Männer. Und jeden dritten Tag stirbt eine Frau, beim Versuch sich zu trennen.


NMAA:

Jeden dritten Tag in Deutschland nehme ich an….


Anneliese:

Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau.

Aus oben genannten Gründen.

Jede vierte Frau hat schon Gewalt durch Männer erlebt. Egal ob in Partnerschaft oder auf Konzerten, Partys, beim Fußball oder in der Straßenbahn. 

Nicht wirklich erheiternd, aber leider wahr.


NMAA:

Begünstigt das gesellschaftliche Klima aktuell solche Vorfälle oder merkst du sowohl jobtechnisch, als auch persönlich, dass wir in Teilen ein paar Schritte nach vorne machen?


Anneliese:

Ich habe generell das Gefühl eines Backlash. Bei all den Unsicherheiten beziehen sich Menschen ja gerne auf konservative "Werte". Das liegt vermutlich auch an der Bubble in der ich unterwegs bin, das mir halt oft vieles nicht schnell genug passiert und/oder ich vieles nicht verstehen kann oder will. Jobtechnisch kann ich sagen, es hat sich schon viel bewegt, aber es gibt auch noch eine Menge zu tun.

Zum einen bei der Finanzierung unserer Arbeit. Es ist weiterhin keine Pflicht, sondern eine freiwillige Unterstützung von Stadt und Land. Sie ermöglichen alles, was geht, aber überall in NRW und soweit ich weiß im ganzen Land, sind alle Frauenunterstützungseinrichtungen auf Spenden angewiesen und müssen regelmäßig Anträge stellen, damit sie weiterarbeiten können. Es hat noch nie wer nein gesagt, dass ist auch ganz klar, aber es ist ein ständiger Kampf.

“...aber überall in NRW und soweit ich weiß im ganzen Land, sind alle Frauenunterstützungseinrichtungen auf Spenden angewiesen und müssen regelmäßig Anträge stellen“

Zum anderen schaue ich in die Kommentarspalten dieser Welt und frage mich, ob Menschen der Penis abfällt, wenn sie gendern sollen.


NMAA:

Stößt du in der Ausübung deines Jobs auch an deine persönlichen Grenzen? Und wenn ja: Wie schützt du dich, abgesehen von Musik?


Anneliese:

Absolut. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen ich gerne in den Tisch beißen würde. Ich hole dann meine imaginäre Pumpgun raus... 

“Ich brenne aber auch für diese Arbeit“

Ich habe aber auch tolle Kolleginnen, mit denen ich immer egal wie viel oder wenig Zeit da ist, auch mal heulen kann, wenn es ganz schlimm ist. Ich brenne aber auch für diese Arbeit. Das hilft natürlich sehr. Ein guter Ausgleich ist wichtig und Musik bzw. Konzerte sind ein großer Teil davon. Es klingt vielleicht albern, aber das hilft, sich auszuschütteln 😃 

Am liebsten knutsch ich aber meine Patenhunde.


NMAA:

Was wäre ein Beispiel für einen Moment bei dem du die Pumpgun rausholen möchtest? 

Das ist ein kraftraubender und psychisch unheimlich belastender Job. Dazu gehört viel Mut meiner Meinung nach. Du hast gesagt du brennst für deine Aufgabe. Was genau treibt dich da an?


Anneliese:

Es sind Fälle, die zum Glück selten vorkommen. Aber oft genug. Wenn Frauen von ihren Partnern eingesperrt werden, sie fast sterben und es als harmlos abtun. Weil "der ist nun mal so". Wenn die Typen denken, mir kann keiner was. Oder Frauen um Geld betteln müssen, um den Kühlschrank zu füllen. 

Aber auch, wenn Behörden nicht tun, was sie tun sollen. Schnell dafür sorgen, dass Gelder weiter fließen und Betroffene weiter sich und ihre Familie versorgen können.

“Weil ich Raum schaffe abseits von Scham.“

Ich brenne für den Job, weil viele Frauen kommen und ihre Rechte nicht kennen. Ängstlich vor mir sitzen und weinen, aber mit einer anderen Körperhaltung rausgehen aus der Beratung und zumindest wissen, was sie tun könnten. Weil ich Raum schaffe abseits von Scham. Und weil ich es am Ende noch immer geschafft habe, zumindest ein Lächeln, wenn nicht sogar ein Lachen zu entlocken.


NMAA:

Du hast eben geschrieben die Einrichtungen sind auf Spendengelder angewiesen. Wie kann man denn genau helfen? Was könnte man machen um evtl. auch die Leser:innen hier zur Hilfe zu bewegen?


Anneliese:

Ich will niemanden bewegen. Aber wer kann und noch etwas übrig hat, Geld, Kleidung oder Spielzeug, sollte mal schauen, was in der jeweiligen Stadt an Einrichtungen vorhanden ist. 

“Und abseits der materiellen Hilfen ist das Bekanntmachen von Hilfestrukturen wichtig“

Alle Frauenhäuser, alle Beratungsstellen freuen sich über solche Dinge. Wichtig ist nur immer vorher zu fragen. Leider sind auch überall die Kapazitäten begrenzt, die Dinge zu sortieren. Und abseits der materiellen Hilfen ist das Bekanntmachen von Hilfestrukturen wichtig. 

Aber auch nicht wegzuschauen oder -hören, wenn es nebenan wieder laut ist oder in der Bahn jemand belästigt wird. Übrigens egal, aus welchem Grund.


NMAA:

Wie können explizit wir, euch helfen?


Anneliese:

Wir brauchen immer Geld. 5 Euro sind genug, ausrangierte Handys sind auch immer gut. 

“Viele Frauen werden getrackt und können nicht sicher flüchten“

Allen Einrichtungen ist grundsätzlich eine freie Spende am liebsten. 6 Euro ermöglichen zwei Fahrten im ÖPNV (Danke CL). Aber auch technische Geräte wie Handys, die nicht mehr gebraucht werden, sind Gold wert. Viele Frauen werden getrackt und können nicht sicher flüchten. Und niemals zu vergessen sind die beteiligten Kinder. Spielzeug, Windeln, Bücher... alles für Kids von 0-15 ist immer hilfreich.


NMAA:

Kannst du unseren Leser:innen vielleicht eure Einrichtung und das Spendenkonto nennen?


Anneliese:

Das möchte ich nicht, weil es so viele Einrichtungen überall in NRW und Deutschland gibt, die vielleicht profitieren könnten. Ich möchte uns da nicht besonders hervorheben, weil wir alle mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.


NMAA:

Wir kommen so langsam zum Ende unseres Interviews. Danke dass du tust, was du tust. Danke für deinen Mut! Danke für deine Hingabe! Danke für so viel Kämpferinnenherz! 

Wenn du möchtest, kannst du der Welt noch deinen aktuellen Musiktip nennen. Ansonsten gehören die letzten Worte dir allein!


Anneliese:

Ich hoffe, meine letzten Worte richte ich erst in so 50 Jahren an diese Welt! 

Alle Sozialarbeiter*innen machen einen anstrengenden Job, meiner sticht da nicht besonders heraus. Mir liegt mein Thema natürlich besonders am Herzen, aber das ist vermutlich bei uns allen so. 

Stay strong, stay rebel. 💜

Mein aktueller Musiktipp... Actionpower!

Die machen guten Hardcore aus der Koblenzer Ecke und sind fast witziger, als Die Ärzte. Aber nur fast.

Danke an dich und euch für die Auseinandersetzung mit dem Thema. Danke für diese Plattform!

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